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Gericht: Finanzgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 26.04.2006
Aktenzeichen: 3 K 337/05
Rechtsgebiete: AO, FGO


Vorschriften:

AO § 227 Abs. 1
FGO § 102 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Niedersachsen

3 K 337/05

Erlass von Abgabenforderungen

Tatbestand:

Die Parteien streiten über den Erlass von Steuerrückständen in Höhe von insgesamt EUR 212.408,10.

Die Abgabenrückstände resultieren aus einer bei dem Kläger und seiner damaligen, inzwischen verstorbenen Ehefrau durchgeführten Steuerprüfung für die Jahre 1983 bis 1990. Das Finanzamt ging dabei von einer Mitunternehmerschaft des Klägers und seiner Ehefrau aus. Es verteilte deshalb die entfallenden Gewinnanteile anteilmäßig auch auf den Kläger. Die Mitunternehmerschaft und Gewinnverteilung wurden rechtskräftig festgestellt durch Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 23.05.2000 (XV 516/96). Die Nichtzulassungsbeschwerde war ohne Erfolg. Die allein auf den Kläger entfallenden Abgabenrückstände stellte das Finanzamt mit bestandskräftigem Aufteilungsbescheid vom 14.08.2002 fest.

Mit Schreiben vom 18.10.2001 beantragte der Kläger Erlass der Steuerrückstände. Es sei nicht zutreffend, dass er mit seiner verstorbenen Ehefrau die Eiscafes in Form einer GbR geführt habe. Die Ehefrau habe die Eiscafes vielmehr als Einzelunternehmerin betrieben. Er selbst habe in dem Betrieb seiner Ehefrau nur als Angestellter mitgearbeitet. Diese Tatsachen habe das Niedersächsische Finanzgericht trotz eingehenden Vortrages in seinem Urteil vom 23.05.2000 nicht berücksichtigt.

Das Finanzamt lehnte mit Bescheid vom 09.07.2002 den Erlass der bestehenden Steuerrückstände aus sachlichen Billigkeitsgründen ab. Es sei grundsätzlich nicht möglich, über die Erlassregelung nach § 227 Abgabenordnung (AO) tatsächliche oder rechtliche Einwendungen gegen eine rechtskräftige Steuerfestsetzung zu erheben. Im Einspruchsbescheid erließ das Finanzamt die hälftigen Säumniszuschläge wegen sachlicher Unbilligkeit, im Übrigen blieb der Einspruch ohne Erfolg.

Hiergegen richtet sich die Klage.

Die Einziehung der Steuerrückstände sei sachlich unbillig. Die Nachzahlungsbeträge entfielen auf Einkommensteuern, die durch nachträgliche, veränderte Zurechnung gewerblicher Einkünfte aus dem Betrieb eines bzw. zweier Eiscafes entstanden seien. Die aus dem Betrieb der Eiscafes erzielten Überschüsse seien in den Streitjahren von der damaligen, inzwischen (1993) verstorbenen Ehefrau des Klägers als Einkünfte aus einem gewerblichen Einzelunternehmen erklärt worden. In den aufgrund der Betriebsprüfung erlassenen Einkommensteueränderungsbescheiden habe das Finanzamt den Gewinn erhöht und diesen erstmals dem Kläger und seiner damaligen Ehefrau je zur Hälfte zugerechnet. Dem Kläger seien allerdings von seiner Ehefrau lediglich Arbeitslöhne gezahlt worden. Gewinnanteile seien ihm nicht zugeflossen. Dieses sei im Rahmen der sachlichen Billigkeit zu berücksichtigen. Die Einkommensteuerschuld beruhe deshalb in mehrfacher Hinsicht auf Umständen, die auf die Bemessungsgrundlage eingewirkt hätten, ohne den tatsächlichen Gegebenheiten der Leistungsfähigkeit des Steuerschuldners Rechnung zu tragen. Die dem Kläger zugerechneten Gewinnanteile seien reine Berechnungsgrößen. Der Zurechnung der Gewinnanteile liege kein Zuwachs einer steuerlichen Leistungskraft des Klägers zugrunde. Der Kläger sehe sich daher einer Steuerlast gegenüber, deren Zustandekommen durch nachträgliche Zurechnung von ursprünglich der Ehefrau zugerechneten Gewinnanteilen mit grundlegenden Gerechtigkeitsprinzipien unvereinbar sei. Es verstoße nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bereits eine Zurechnung von Gewinnanteilen ohne einen tatsächlichen Zuwachs an Leistungskraft gegen das Übermaßverbot und das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit (BFH-Urteil vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BStBl II 1995, 297).

Damit sei das Ermessen des Finanzamtes auf Null reduziert. Denn der Kläger sei im Innenverhältnis zu seiner damaligen Ehefrau nicht berechtigt gewesen, von der im Außenverhältnis eingeräumten Befugnis über Geldmittel zu verfügen, persönlich Gebrauch zu machen. Zwischen den damaligen Eheleute habe in den Streitjahren Einigkeit darüber bestanden, dass das Eiscafe allein der verstorbenen Ehefrau gehöre und ihr daraus erwirtschaftete Erlöse auch allein zuständen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 9. Juli 2002 sowie des Einspruchsbescheids vom 7. Juli 2005, soweit dieser einen Erlass ablehnt, den Beklagten zu verpflichten, 91.834,96 EUR Steuerschulden zu erlassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet.

1. Nach § 227 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) kann die Finanzbehörde Ansprüche aus dem Steuerverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung über einen Erlassantrag aus Billigkeitsgründen ist dabei eine Ermessenentscheidung, die im finanzgerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt darauf überprüft werden kann, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsaktes rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (BFH-Urteil vom 16. September 1992 X R 169/90, BFH/NV 1993, 510 m.w.N.). Zur Überprüfung gestellt werden dabei die Gründe, die das Finanzamt in der letzten Verwaltungsentscheidung, und somit in der Einspruchsentscheidung, angestellt hat. Das Finanzamt darf im gerichtlichen Verfahren zwar nach § 102 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) bereits angestellte oder dargestellte Ermessensentscheidungen vertiefen, verbreiten oder verdeutlichen, nicht dagegen ist es befugt, Ermessenerwägungen im finanzgerichtlichen Verfahren erstmals anzustellen, die Ermessensgründe auszuwechseln oder vollständig nachzuholen (BFH-Beschluss vom 9. November 2004 VI B 39/02, BFH/NV 2005, 378).

2. Die Vorschrift des § 227 AO allerdings dient nicht dazu, falsche Steuerfestsetzungen, gegen die kein Rechtsmittel eingelegt worden ist, noch nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist zu korrigieren (BFH-Urteil vom 17.12.1997 III R 8/94, BFH/NV 1998, 1935). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH nämlich kann eine falsche Steuerfestsetzung vielmehr nur dann zu einem Billigkeitserlass führen, wenn die Fehlerhaftigkeit offensichtlich und eindeutig ist und es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren (BFH-Beschluss vom 07.04.2005 V B 36/04, BFH/NV 2005, 1230). Es ist nicht Funktion des Billigkeitserlasses aus sachlichen Billigkeitsgründen, eine fehlerhafte Steuerfestsetzung zu korrigieren (BFH-Beschluss vom 24.04.1992 XI B 76/91, BFH/NV 1992, 692).

Nach ständiger Rechtsprechung kann die Erhebung einer Steuer nur dann sachlich unbillig sein, wenn die Steuerfestsetzung zwar den Buchstaben des Gesetzes entspricht, jedoch im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist. In diesem Sinne muss ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers bestehen (BFH-Urteil vom 26.10.1994 X R 104/92, BStBl II 1995, 297). Eine Unbilligkeit kann sich deshalb nicht aus Umständen ergeben, die der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen hat. Andernfalls würden durch die Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen die vorgesehene Besteuerung außer Kraft gesetzt.

3. Danach ist im Streitfall die Inanspruchnahme des Klägers nicht durch ein Übermaßverbot ausgeschlossen. Im Streitfall führt nicht das Zusammenwirken verschiedener steuerrechtlicher Regelungen zu einer besonders hohen Steuerschuld, obgleich kein Zuwachs an Leistungsfähigkeit zugrunde liegt (so Tatbestand des BFH-Urteils vom 26.10.1994, a.a.O.). Allein die Tatsache, dass hier das Niedersächsische Finanzgericht von einer Mitunternehmerschaft zwischen dem Kläger und seiner inzwischen verstorbenen Ehefrau ausgegangen ist, ist kein Umstand, der den Zweck des Gesetzes oder den Wertungen des Gesetzgebers widerspricht. Es handelt sich vielmehr um eine zwangsläufige Folge einer bestimmten Sachverhaltswertung durch das Niedersächsische Finanzgericht.

Da im Streitfall ein Übermaß an Besteuerung nicht vorliegt, vermag eine Korrektur im Wege der sachlichen Billigkeit nicht vorgenommen zu werden. Das Finanzamt hat zutreffend in seinen Ermessenserwägungen darauf abgestellt, dass rechtskräftig durch das Niedersächsische Finanzgericht entschieden worden ist, hier habe eine Mitunternehmerschaft zwischen dem Kläger und seiner damaligen Ehefrau vorgelegen. Es hat dabei insbesondere erschöpfende Erwägungen zum Vorliegen von sachlichen Billigkeitsgründen angestellt. Die Ermessenserwägungen des Finanzamtes sind nicht zu beanstanden, sondern befinden sich im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 135 FGO abzuweisen.

Ende der Entscheidung

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